Leichte Kerne

Die herausragende Stabilität des Kerns 2-He-4 steht im Gegensatz zur völligen Instabilität des benachbarten Kerns mit der Massezahl 5. Auch der Kern 4-Be-8 zerfällt in trilliondstel Bruchteilen einer Sekunde, obwohl er nahezu die Bindungsenergie des Alpha-Teilchens 2-He-4 erreicht. Eine hinreichende Antwort gibt die Struktur dieser Kerne.

Abb. 9.1: Die relative Kernbindungsenergie der Kerne bis Massezahl 40

Diese Abbildung gibt den Verlauf der relativen Kernbindungsenergie der jeweils stabilsten Kerne bis A=40 wieder. Der periodische Verlauf weist auf strukturelle Regelmäßigkeiten im Aufbau der Kerne hin. Jeder Kern besitzt ein individuelles räumliches Teilchengitter, welches exakt rekonstruiert werden kann.

9.1 Kerne mit Massezahl 5

Die Kerne mit Massezahl 5 sind extrem kurzlebig. Man muss sie besser als Trümmer oder Teilchenzustände definieren, in denen für eine extrem kurze Zeit die ursprüngliche Struktur noch aufrecht erhalten bleibt, bevor sie in stabile Teilchen umwandeln. Die Tabelle gibt die Daten dieser Kerne an.

Kern Kernbindungsenergie relative KBE Halbwertszeit T½ Zerfall
2-He-5 27,4MeV 5,48MeV 7,62*10−23s n (Neutronemission)
3-Li-5 26,3MeV 5,27MeV 3,05*10−23s p (Protonemission)

Obwohl die Kerne mit Massezahl 5 deutlich höhere Bindungsenergien besitzen als die Kerne 1-H-2 oder 2-He-3, sind sie völlig instabil. Rekonstruiert man einen Kern mit 5 Masseteilchen, so kommt als Kerngitter nur ein Doppeltetraeder in Betracht. Die Symmetriewerte sind deutlich niedriger als die des Helium-4-Tetraeders. Das fünfte Masseteilchen ist nur ein Anhängsel. Es wird durch einfache Neuordnung der vorhandenen Kernteilchen und unter Energiegewinn abgespalten.

(9.1)    3-Li-5     →     2-He-4    +    p

Energiebilanz:  28,2MeV - 26,2MeV = 2,0MeV

Für den Kern 2-He-5 liegen die Verhältnisse ähnlich.

Abb. 9.2: Die Struktur des Kerns 3-Li-5

Abb. 9.3: Der Zerfall des Kerns 3-Li-5

Der Zerfall des Kerns 3-5 erfolgt in extrem kurzer Zeit, weil keine Teilchenumwandlungen ablaufen, sondern nur eine Neuordnung der vorhandenen Subteilchen stattfindet. Das ist auch der Kern der sogenannten 'starken Wechselwirkung'.

9.2 Die Kerne mit Massezahl 8

Tabelle 9.2: Eigenschaften der Kerne mit Massezahl 8

Kern Kernbindungsenergie relative KBE Halbwertszeit T½ Zerfall
2-He-8 31,4MeV 3,92MeV 0,12s β; β+n
3-Li-8
41,3MeV
5,16MeV 0,84s
β; β+2α
4-Be-8
56,5MeV 7,06MeV 6,7*10-17s

5-B-8 37,7MeV 4,42MeV 0,77s
eE; eE+2α
6-C-8 24,8MeV 4,00MeV 0,20*10-21s 2p

Kern 4-Be-8 besitzt unter den Kernen mit Massezahl 8 die höchste Bindungsenergie und seine relative KBE erreicht mit 7,06MeV fast den Wert des 2-He-4-Kerns mit 7,07MeV. Trotzdem ist dieser Kern völlig instabil, wie seine Halbwertszeit beweist. Rekonstruiert man einen Kern mit 8 Masseteilchen und 4 bindenden Teilchen, gelangt man zu einem Parallelepiped, welches aus zwei Tetraedern zusammengesetzt ist.  (Das Kürzel "eE" steht für Elektron-Einfang und Positron-Emission, n für Neutron- und p für Protonemission.)

Abb. 9.4: Struktur des Kerns 4-Be-8

Das Parallelepiped des Kerngitters 4-8 zerfällt ohne tiefgreifende Teilchenumwandlungen sofort in zwei Tetraeder. Es ist wiederum eine 'starke Wechselwirkung'. Untypisch für die starken Zerfälle wird aber nur eine sehr geringe Zerfallsenergie von 0,04MeV frei. Bei den anderen Kerne mit Massezahl 8 befinden sich das Kerngitter nicht in dieser hohen Symmetrie. Der Zerfall verläuft zunächst über eine langwierige Beta-Umwandlung oder es laufen kombinierte Zerfälle ab.

Abb. 9.5: Zerfall des Kerns 4-Be-8

9.3 Der Kern 3-Li-6

Abb. 9.5: Das oktaedrische Kerngitter des Kerns 3-Li-6

Eine vom Tetraeder als strukturelles Grundelement abweichende Struktur weist der Kern 3-Li-6 auf. Die sechs Masseteilchen bilden einen Oktaeder. Die bindenden Teilchen sind nur mangelhaft ins Masseteilchengitter einzubinden. Der Spin des Kerns 3-6 resultiert wiederum von einem Pion ungepaarten im Bindungsgitter. Die relative Kernbindungsenergie des Kerns 3-6 ist mit 5,3MeV viel geringer als die der Kerne 2-4 und 4-8 mit etwa 7,1MeV. Der Kern ist dennoch stabil, weil beim Zerfall Energie verbraucht würde und der Kern-Oktaeder in den Tetraeder des Heliums übergehen müsste. Solche "geometrischen Barrieren" sind auch bei anderen Kernen zu beobachten.

 

Durch elastische Streuversuche von Elektronen an Atomkernen wurde die individuelle Ausprägung der Kernformen experimentell nachgewiesen. Die Kernoberfläche wird dabei sozusagen mit Elektronenstrahlen abgetastet. Es zeigte sich, dass die Oberflächen der Kerne 'wohldefiniert' sind und jeder Kern ein individuelles Streumuster der Elektronen erzeugt, ein eindeutiger Hinweis auf die geometrische Ordnung der Kernoberfläche. Das altgediente "Tröpfchenmodell" des Atomkerns ist also experimentell bereits seit den 1960iger Jahren widerlegt.